Jürgen Israel - Lektor, Autor und Publizist

Gespräch an einem Sommerabend zwischen Jürgen Israel und Wolfgang Raack

Jürgen Israel wurde 1944 in der Nähe von Zittau in der Oberlausitz geboren und arbeitet als freiberuflicher Lektor, Publizist und Autor. Er ist Mitherausgeber der christlichen Zeitschrift „Publik-Forum“. Seine Publikationen umfassen Prosa aber auch Gedichte und Essays. Er hat Arbeiten unter anderem zu Anna Seghers, Marie Luise Kaschnitz, Ilse Langner, Heinrich Alexander Stoll und Albrecht Goes veröffentlicht. Sein bisher letztes, und wie er bemerkt liebstes Buch, ist das „Katzendorfer Tagebuch“, das im November 2016 erschienen ist. In den Jahren 2013 bis 2014 lebte er für ein Jahr als Dorfschreiber im rumänischen Caţa dem ehemaligen Katzendorf in Siebenbürgen.

Er lebt seit 1988 in Neuenhagen und gehört seitdem unserer Gemeinde an.

Wolfgang: Hallo Jürgen, du bist schon lange in unserer Gemeinde und hast eine interessante Vergangenheit. Erzähle doch bitte von Deiner Kindheit und Jugend, hast Du Geschwister, welchen Beruf hatten deine Eltern?

Jürgen: Ja, ich hatte einen jüngeren Bruder, der aber bereits kurz nach seiner Geburt gestorben ist. So bin ich als Einzelkind groß, geworden. Mein Vater war Maurer und hätte gern Physik studiert, aber das ließ die damalige Zeit nicht zu. Meine Mutter war kaufmännische Angestellte. Sie hat mich gleich nach meiner Geburt taufen lassen. Als es in der Schule mit den Jugendweihen anfing wäre ich gerne konfirmiert worden, aber das ließen meine Eltern nicht zu. So habe ich dann an der Jugendweihe teilgenommen. Mit 19 Jahren bin ich nach Leipzig gegangen und habe dort Bibliothekswesen studiert. Das Studium habe ich nach drei Semestern abgebrochen. Im Herbst 1965 habe ich begonnen in Jena Altertumswissenschaften und Germanistik zu studieren. Die Zwischenzeit habe ich überbrückt, indem ich als Volontär im Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar arbeitete.

Ein besonders eindrückliches Erlebnis war eine Reise in die Tschechoslowakei Anfang 1968. Es herrschte dort so eine aufgeschlossene, fröhliche Stimmung. Es wurde überall für den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ geworben. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Reform auch die DDR erreicht hätte. Aber wie wir wissen, wurde die Reformbewegung im Sommer 1968 rasch beendet. 1970 war ich mit dem Studium fertig und habe für wenige Wochen als Lektor gearbeitet, bevor ich zum Wehrdienst eingezogen werden sollte.

Wolfgang: Aber du hast keinen Wehrdienst geleistet?

Jürgen: Nein, für mich war eigentlich immer klar, besonders nach dem Einmarsch der Truppen in der Tschechoslowakei, dass ich keinen Wehrdienst leisten will. Konsequenz daraus waren allerdings zwei Jahre im Gefängnis.

Wolfgang: Was haben Deine Eltern dazu gesagt?

Jürgen: Sie waren darüber nicht begeistert und haben mich erstmal aus dem Haus geworfen. Aber nach meinem Gefängnisaufenthalt hat sich unser Verhältnis wieder normalisiert.

Wolfgang: In welchem Gefängnis warst du inhaftiert?

Jürgen: Anfangs war ich in der Jugendstrafanstalt in Ichtershausen bei Arnstadt in Thüringen. Allerdings wurde ich schon bald in das Gefängnis nach Eisenach verlegt, weil der Anstaltsleiter in Ichtershausen die Befürchtung hatte, dass ich die anderen inhaftierten Jugendlichen indoktrinieren könnte, obwohl ich so etwas nicht vorhatte. Er konnte nicht verstehen, dass man den Wehrdienst verweigert. Aber auch von Eisenach wurde ich verlegt und kam nach Warnemünde in ein Barackenlager. Dort habe ich im Straßenbau gearbeitet. Das war eigentlich die schönste Zeit, weil wir draußen, im zivilen Leben, arbeiteten, andere Menschen als nur Mitgefangene sahen und weil die Baracken im Grünen standen. Wir konnten durchs Lager laufen, ohne in Zellen sitzen zu müssen. 1972 bin ich entlassen worden.

Wolfgang: Und dann?

Jürgen: Ich durfte natürlich nicht mehr als Lektor arbeiten. So habe ich erstmal für ca. ein dreiviertel Jahr bei dem Schriftsteller Heinrich Alexander Stoll* als Sekretär gearbeitet. Ich bin dann als Sachbearbeiter im katholischen St. Benno Verlag in Leipzig angenommen worden, konnte aber faktisch als Lektor dort arbeiten. In Leipzig habe ich dann auch meine jetzige Frau Agathe geheiratet. Dann kamen unsere Kinder und ich habe ab Sommer 1974 freiberuflich gearbeitet. Meine Frau hat im Krankenhaus gearbeitet. Sie ist Ärztin.

* Stoll verfasste neben populärwissenschaftlichen Arbeiten zu Geschichte und Archäologie historische Romane und Erzählungen, daneben war er als Herausgeber und Bearbeiter, insbesondere von deutschen und antiken Sagen, tätig. Er wurde unter anderem 1963 mit der Winckelmann-Medaille der Stadt Stendal sowie 1975 mit dem Theodor-Fontane-Preis des Bezirkes Potsdam ausgezeichnet.

Wolfgang: Und wie bist Du nach Neuenhagen gekommen?

Jürgen: 1988 hat meine Frau eine Stelle im Krankenhaus in Berlin-Lichtenberg übernommen. Und so sind wir nach Neuenhagen gezogen, ins Grüne.

Wolfgang: Und hast Dich gleich auch hier in der Kirchengemeinde engagiert?

Jürgen: Ja, wir wurden von Pfarrer Manneck und seiner Frau sehr herzlich aufgenommen. Damals war die Kirche in Bollensdorf ja noch eine eigenständige Kirchengemeinde mit einem eigenen Pfarrer. Ich habe dann auch lange Zeit im Gemeindekirchenrat mitgearbeitet.

Wolfgang: Aber du hast nicht nur bei der Kirche mitgearbeitet?

Jürgen: Nein, ich habe mich auch politisch engagiert. Ich hatte mich schon lange für eine ökologische Umwelt eingesetzt. Als ich sah, dass es auch in der DDR zu einem Umbruch kommen würde war ich 1989 Gründungsmitglied der Grünen Partei. Ich bin als Spitzenkandidat für den damaligen Bezirk Frankfurt/Oder für die Volkskammerwahl im März 1990 angetreten. Als ich dann nach der Wahl erfahren habe, dass ich nicht gewählt worden bin, fiel mir zu meiner eigenen Überraschung ein Stein vom Herzen. Ich bin kein geborener Politiker. Trotzdem habe ich mich noch mal zur ersten Landtagswahl in Brandenburg aufstellen lassen. Auch da bin ich nicht gewählt worden. Über die „Wende“ bin ich recht froh. Ich hätte mir allerdings eher eine „Zweistaatenlösung“ gewünscht, die aber wahrscheinlich nicht realistisch war.

Wolfgang: Und, wenn Du auf Dein Leben zurückschaust, gibt es etwas, was du gerne anders gemacht hättest?

Jürgen: Ich hatte bisher ein gutes Leben und es gibt kaum etwas, was ich im Rückblick anders gemacht hätte.

Wolfgang: Was hat Dir in Deinem Leben besonders gefallen?

Jürgen: Besonders gefallen hat mir die Zeit in Katzendorf. Ich war dort sehr glücklich, obwohl ich noch glücklicher gewesen wäre, wenn meine Frau die ganze Zeit hätte dabeisein können. Deshalb ist auch mein „Katzendorfer Tagebuch“ mein liebstes Buch.

Wolfgang: Wie bist Du nach Katzendorf gekommen?

Jürgen: Es war ein Aufenthaltsstipendium ausgeschrieben. Auf das habe ich mich beworben und bin angenommen worden. Seit 2011 vergibt eine Jury dieses Stipendium an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die hier nach Schaffenslust bis zu einem Jahr wohnen, träumen und schreiben können. Das tägliche Brot und ein geheizter Kachelofen im Winter sind das Preisgeld. Es war eine interessante und schöne Zeit.

Wolfgang: Und sonst?

Jürgen: Was mir auch sehr gut gefallen hat, war die Arbeit zum Christlichen Garten in den Gärten der Welt in Marzahn. Ich habe dort mit einem Freund die Bibeltexte aus dem Alten und dem Neuen Testament herausgesucht. Die Buchstaben der Bibelverse sowie literarische und philosophische Texte bilden aus goldfarben lackiertem Aluminium einen Wandelgang, in Form eines klösterlichen Kreuzganges. Der christliche Garten wurde im Jahr 2011 eingeweiht.

Wolfgang: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

Christlicher Garten in den Gärten der Welt in Berlin-MarzahnChristlicher Garten in den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn

Jürgen Israel ist derzeit Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Kreissynode des Kirchenkreises Lichtenberg-Oberspree.

Aufenthaltsstipendien führten Jürgen Israel 1999 in das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, 2001 als Stadtschreiber nach Rheinsberg und 2013/2014 als Dorfschreiber nach Katzendorf in Rumänien.

Veröffentlichungen (u.a.): Im Urteil der Dichter - Literaturbetrachtungen von Opitz bis Lessing. (1987); Vom Wertmaß der Poesie - Literaturbetrachtungen von Goethe bis Fontane (1987); Novembersonne - Prosa und Lyrik (1988); Musen und Grazien in der Mark - 750 Jahre Literatur in Brandenburg - Ein Lesebuch (2002); Freundschaft - Gedichte (2003); Prominente Protestanten: Von Martin Luther bis heute (2006); Großeltern - Prosa (2008); Vermittler und Versöhner - Albrecht Goes, die DDR und das Judentum (2010); Katzendorfer Tagebuch (2016).

Wolfgang Raack im Juli 2017

 

Nachtrag:

Am 8. September 2017 wurde Jürgen Israel der "Branko Radičević-Literaturpreis” im Rahmen der feierlichen Eröffnung des 46. Brankovo Kolo Festivals im ältesten serbischen Gymnasiums in Sremski Karlovci verliehen, das Branko Radičević von 1835 bis 1841 besuchte. Branko Radičević ist einer der bedeutendsten serbischen Dichter der Romantik, da er die Sprache der einfachen Leute benutzte. Er schrieb nur 54 lyrische Gedichte und 7 epische Gedichte. Er starb im Alter von 29 Jahren (1824-1853). Im Jahr 2017 feierte Serbien den 170. Jahrestag der Veröffentlichung seines ersten Gedichtbandes in Wien.

Zu den Preisträgern dieses internationalen Preises zählen renommierte Dichter aus aller Welt: Vyacheslav Kupriyanov (Schweiz), Philippe Tancelin (Frankreich), Nasos Bagenas (Griechenland), Nikita Danilov (Rumänien), Carol Ann Duffy (Großbritannien), Valeriy Latinin (Russland), Babken Simonyan (Armenien), Slavomir Gvozdenović (Rumänien), Petar Milošević (Ungarn) und Enes Kišević (Kroatien).

 

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