Reformation bedeutet Rückbesinnung auf das Ursprüngliche.
Tatsächlich ist damit ein Prozess der kirchlichen Neuordnung gemeint, allerdings in der Rückbindung an die biblischen Grundlagen des christlichen Glaubens. Martin Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 zu Wittenberg gilt als Startereignis für die Reformation. Hintergrund war der damalige Ablasshandel. Von zunächst wenigen Kritikpunkten ausgehend, drang Luther in der Auseinandersetzung sehr schnell und folgerichtig zu weiteren grundsätzlichen Überlegungen vor.
Er ließ sich dabei von diesen Stichworten leiten:
Durch den gerade erfundenen Buchdruck erlangten die Schriften Luthers eine große Verbreitung und in kurzer Zeit kamen an vielen Orten Veränderungen der kirchlichen Praxis in Gang: Gottesdienst und Predigt wurden nun in deutscher Sprache abgehalten, die Bibel übersetzt und so vielen Menschen zugänglich gemacht, das Abendmahl mit Brot und Wein für alle geöffnet, der Ablasshandel abgelehnt und die Ehe für die Priester erlaubt – um nur einiges zu nennen.
Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich auch in Süddeutschland unter dem Einfluss von Ulrich Zwingli und Johannes Calvin. Die kirchlichen Ereignisse waren eng mit den politischen Machtverhältnissen verwoben. Eine günstige Konstellation ermöglichte den Fortgang der Reformation. Andererseits blieben die kirchlichen Reformbestrebungen nicht ohne Folgen für die politisch-soziale Entwicklung. Ziel der Reformation war nicht eine neue Kirche, sondern eine sich selbst ständig erneuernde (zeitgemäße) und sich an ihren Grundsätzen (biblischen Quellen) orientierende Kirche.
Sich daran zu erinnern ist das eigentliche reformatorische Erbe.
Erhard Wurst
Die Bibel beschreibt im Rahmen der vor rund 3000 Jahren im Orient bekannten Weltbilder, dass Gott der Ursprung allen Lebens und auch aller unbelebten Materie ist. Die Bibel will damit aber nicht die Entstehung der Welt historisch-naturwissenschaftlich erklären. Das ist nicht ihr Anspruch und sie steht damit auch nicht im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entwicklung der Arten oder zur Entstehungsgeschichte des Universums. Sie gibt viel mehr Antworten auf die Frage, warum es diese Welt und uns überhaupt gibt. Wir sind nicht das Produkt eines blinden chemisch-physikalischen Zufalls, sondern gewollte „Wunschkinder“ Gottes.
Es gibt übrigens nicht nur die eine biblische Schöpfungsgeschichte, sondern mindestens zwei. Sie stehen auf den ersten Seiten der Bibel unmittelbar nacheinander, und das ist kein Zufall. Im Vergleich der beiden Schöpfungs“berichte“ lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen. Der eine (1.Mose Kap.1) beschreibt die Schöpfung als in 7 Tagen geschehen in systematisch-geordneter Reihenfolge: Himmel und Erde – Licht – Pflanzen – Tiere – Mensch. Der andere (1.Mose Kap.2) erzählt vor allem die Paradiesgeschichte von Adam und Eva und das in der Reihenfolge: Mensch – Pflanzen – Tiere. Diese (und andere) offensichtlichen Unterschiede deuten darauf hin, dass beide Erzählungen von Anfang an nicht als historische Tatsachenberichte gemeint waren. Sie transportieren aber sich ergänzende Botschaften, die zum Leben helfen. Darin liegt ihr bleibender Sinn.
Der erste Schöpfungsbericht ermutigt dazu, die Gaben der Schöpfung zu gebrauchen und erlaubt dem Menschen, die Umwelt auch zu verändern und zu gestalten. Damit war das Feld aufgetan für neue landwirtschaftliche Kulturtechniken als Grundlage für einen weiteren Entwicklungsschritt.
Der zweite Schöpfungsbericht ruft dazu auf, die Gaben der wunderbaren Schöpfung zu bewahren und begrenzt gewissermaßen damit den ersten Auftrag. Wenn wir heute angesichts einer drohenden Klimakatastrophe von Nachhaltigkeit sprechen, dann ist genau dies damit gemeint.
Der Glaube an Gott als dem Schöpfer kommt auch der menschlichen Hybris (Überheblichkeit) zuvor, er könne sich selbst erschaffen, über seine eigenen Voraussetzungen verfügen. Der Schöpfungsglaube setzt hier ein Warnzeichen. Von genetischer Manipulation ist es nicht weit bis zum Superkind aus dem Katalog und schließlich zur Selektion von lebenswertem und nicht lebenswertem Leben wie an der Rampe in Ausschwitz.
Und noch ein wesentlicher Aspekt des Schöpfungsglaubens: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Das bedeutet: Nicht mein persönliches Bild vom Menschen ist der Maßstab. Wir müssen den anderen nicht erst erschaffen, nach unseren Vorstellungen zu einer Persönlichkeit „erziehen“, er ist schon von Anfang an ein ganz einmaliger und wertvoller Mensch, so, wie er ist. Und ich selbst muss auch nicht zum Bild (Abbild) eines anderen werden.
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und nicht umgekehrt. Wir versuchen aber gelegentlich und immer wieder, uns einen Gott nach unserem Bild zu erschaffen.
Erhard Wurst
Seelsorge ist der Versuch, einen anderen Menschen in seiner besonderen Situation zu stärken und zu stützen. Wir lassen uns dabei von der Gewissheit leiten, dass Gott keinem Menschen fern ist. Wie Seelsorge geschehen kann, erzählt schon das Lukasevangelium (Lukas Ev.24, 13-33): Zwei Männer sind auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus. Sie sind verstört darüber, dass Jesus gekreuzigt wurde. Sie sind traurig, enttäuscht und ratlos. Da gesellt sich ein Dritter zu ihnen. Dieser Dritte hört zunächst einfach nur zu.
Dann fragt er behutsam nach und das Unfassbare wird aussprechbar. Für das, was geschehen ist, finden sich Worte und es kann - vielleicht auch nur versuchsweise - aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Vertrauen entsteht. In Emmaus angekommen wird der Dritte eingeladen, zu bleiben. Gemeinsam sitzen sie am Tisch - auf Augenhöhe. Zuerst wurde der Schmerz mitgeteilt, jetzt wird das Brot geteilt. Die entstandene Beziehung selbst ist das Brot, das stärkt.
Der Dritte (der auferstandene Jesus) muss nun auch gar nicht mehr körperlich gegenwärtig sein. Die aber eben noch in ihrer Trauer Verschlossenen spüren wieder Leben in sich, stehen auf und kehren in den Alltag zurück. Seelsorge ist eine Kernaufgabe der Kirche. Sie geschieht im Besonderen als Krankenhausseelsorge, als Telefonseelsorge, Notfallseelsorge, Gefängnisseelsorge, Militärseelsorge, aber natürlich auch im Alltag der Kirchengemeinde.
Zu einer seelsorgerlichen Grundhaltung gehört ein gutes Maß an Einfühlungsvermögen, die Echtheit der eigenen Person und die Akzeptanz des Gesprächspartners. Gelingt es, im seelsorgerlichen Gespräch eine vertrauensvolle Beziehung wachsen zu lassen, dann leuchtet darin etwas auf von der Nähe Gottes in jeder noch so schwierigen Situation.
Wo dies erlebbar wird, da lösen sich seelische Verkrampfungen, wir werden freier und lebendiger und manchmal auch mutiger für den nächsten Schritt.
Erhard Wurst
Sünde im biblischen Sinne ist keine moralische Kategorie. Sicher, es gibt Gebote, die helfen sollen, das tägliche Leben in einer Gemeinschaft verlässlich zu regeln. Dafür sind sie gut und richtig. Aber mit Sünde ist eigentlich etwas viel Tieferes gemeint.
Das Wort „Sünde“ kommt von dem Wort „Sund“ her. Ein Sund ist eine Meerenge, die eine Insel vom Festland trennt. Sünde bedeutet also etwas Trennendes, Trennung von Gott. Sich abzuwenden von Gott, das ist die grundlegende Ursache dafür, dass etwas falsch läuft. Denn dann verliere ich nicht nur alles Maß für mein Handeln, sondern ich höre auch nicht mehr den lebensnotwendigen Zuspruch, dass wir von Gott geliebte Menschen sind.
Dass wir Schuld auf uns laden im Laufe unseres Lebens ist ebenso unausweichlich wie menschlich. Es gehört zu den Bedingungen unserer Existenz (conditio humana), dass wir durch Fehler und Irrtümer gehen und hoffentlich ein bisschen daraus lernen. Zugleich gehört es zur Würde des Menschen, dass wir aber auch dafür verantwortlich (schuldfähig) sind und die Konsequenzen zu tragen haben.
Manchmal ist es möglich, eine Schuld wieder gutzumachen. Manchmal aber ist dieser Weg verschlossen. Was aber immer möglich ist, ist das Eingeständnis der eigenen Schuld und die Bitte um Vergebung. Wenn dann Vergebung spürbar von ehrlichem Herzen gewährt, ausgesprochen und auch gehört wird, dann lösen sich Verkrampfungen und Wirrungen und etwas Neues wird sichtbar.
Erhard Wurst
Mit dem Teufel verbinden wir die Vorstellung eines Gegenspielers Gottes.
Am Anfang des biblischen Buches Hiob wird erzählt, wie der „Satan“ (Widersacher) Gott herausfordert und so die göttliche Erlaubnis erhält, Hiob auf die Probe zu stellen. Hinter dieser lehrhaften Geschichte steht die menschliche Erfahrung, dass in dieser Welt eben (scheinbar oder tatsächlich) nicht alles nach Gottes Willen geschieht und es dann wohl eine Art Gegenkraft geben muss, die für alles vorfindliche Böse verantwortlich ist. In der Zuweisung des Bösen an ein transzendentes und sozusagen unbeeinflussbares Prinzip (Teufelskreis, oder auch sogenannte Sachzwänge) schaffe ich mir beiläufig eine bequeme Distanz, die mich im Welt- und Tagesgeschehen zum passiven Zuschauer macht.
Eine andere Spur finden wir in der Versuchungsgeschichte Jesu in der Wüste. Der Teufel, hier mit dem griechischen Wort „Diabolus“ bezeichnet, stellt Jesus Macht und Reichtum in Aussicht. Diabolus heißt wörtlich übersetzt: Der Durcheinanderbringer. Der Teufel ist also nach diesem Verständnis einer, der etwas oder genauer gesagt uns durcheinanderbringt. Dieser Diabolus stellt Wege, Werte und Beziehungen zur Wahl oder zieht sie in Zweifel. Er erinnert damit an die erste Stimme des „Bösen“, an die Schlange in der Paradiesgeschichte: „Sollte Gott gesagt haben … ? Die Lüge ist oft leicht durchschaubar, eine Halbwahrheit ist die eigentliche Versuchung.
Der Teufel, das ist nicht der gehörnte Gegenspieler Gottes und auch nicht irgendein überirdisches Prinzip. Er verkörpert das Böse, das jedoch als Möglichkeit jedem Menschen innewohnt (Luther: Simul iustus et peccator, Gerechter und Sünder zugleich). Die Verteufelung eines Menschen in welcher Form auch immer hat nur eine dieser Seiten im Blick. In jedem Menschen liegen aber immer verschiedene Möglichkeiten und wir bleiben - ob Teufel oder nicht - in der Verantwortung für unser Denken und Handeln.
Erhard Wurst
Das Wort Gottes begegnet uns in der Bibel. Darin berichten Menschen von ihren Erfahrungen mit Gott. Die Bibel ist Gottes Wort in Menschenmund.
Aber ist die Schöpfung nicht auch eine Sprache Gottes? Sind Träume und Visionen nicht auch eine Möglichkeit, sozusagen ganz direkt und ohne den umständlichen Weg über die 2000 Jahre alte Bibel, Gottes Botschaft zu empfangen? Die Bibel selbst berichtet ja davon, dass einem Menschen auf diese Art Weisung und Zuspruch Gottes zuteil wird.
Die Gefahr einer willkürlichen Deutung und der Anmaßung ist allerdings, wie die Geschichte zeigt, sehr groß. Darum muss es eine Art Kriterium geben, an dem sich jegliche Offenbarung – ob innerhalb oder außerhalb der Bibel – messen lassen muss. „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes …“ So steht es in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. In Deutschland wurde in dieser Zeit gerade ein Diktator als göttliche Offenbarung gefeiert. Gegen die Vergötzung von Menschen und die Instrumentalisierung von Ereignissen als göttliche Offenbarung wurde dieses wichtige Bekenntnis in Barmen formuliert.
Wie ist es aber mit der Bibel selbst? Ist denn hier jedes Wort aus sich heraus sozusagen vom Ursprung her schon Gottes Wort? Luther antwortet auf diese Frage: „Was Christum treibet, das ist Gottes Wort.“ Es gibt also so etwas wie einen roten Faden, der uns hilft, die vielfältigen Botschaften der Bibel zu gewichten und sie miteinander in Beziehung zu setzen. Nicht jeder biblische Satz ist immer und überall gleichzeitig das jetzt wichtige Wort Gottes.
Die Geschichten der Bibel beginnen erst dann zu leuchten, wenn sich der existentielle Zusammenhang mit einer konkreten Lebenssituation ergibt (es leuchtet mir etwas ein) oder der Bezug hergestellt wird, wie es in der Predigt versucht wird.
Gottes Wort hat die Kraft, eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Es belebt und inspiriert.
Erhard Wurst