Drahtige Figur, schneller Schritt und wacher Blick – so begegnet einem Martina Zobel. Ihr Gesicht rahmt eine farblich auffällige Brille, und ein Pagenschnitt passt das ergraute Haar der sportlichen Trägerin an. Martina Zobel ist gern in Bewegung. Dabei ist sie entweder im sportlichen Dress oder im feinen Zwirn unterwegs — in beidem macht sie jedenfalls eine gute Figur. Seit sechs Jahren ist sie Rentnerin und hat eigentlich immer zu tun. Neben der großen Familie nimmt unsere Kirchengemeinde einen Großteil ihrer Zeit ein. Seit 1998 ist Martina Zobel als Älteste im Gemeindekirchenrat (GKR) engagiert, damals war Hartmut Rank noch GKR-Vorsitzender. Im vergangenen Jahr wurde sie bei der Gemeindekirchenratswahl im November erneut in das Gremium gewählt und ist nun sowohl die Dienstälteste als auch die altersmäßig Älteste unter allen gewählten Ältesten im GKR. Die hohe Anzahl der Stimmen, die auf sie entfielen, zeigt, dass sie absolut das Vertrauen der Gemeindeglieder genießt.
In unserer Kirchengemeinde ist Martina Zobel bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund —zumindest den aktiven Kirchgängern und Teilnehmern an Gemeindeveranstaltungen. Besonders regelmäßig ist sie in Neuenhagen-Nord anzutreffen – denn dort steht „ihre“ Kirche. Dort wurde sie konfirmiert, unweit des Kirchturms wuchs sie auf, und dort kennt sie jeden Quadratzentimeter.
Martina Zobel wurde vor 69 Jahren in Berlin-Lichtenberg geboren. Ihre Taufkirche war das kleine Dorfkirchlein in Fredersdorf. Ab 1963 wohnte sie mit ihrer Familie in der Siedlung am Umspannwerk in Neuenhagen. Pfarrer Krüger konfirmierte sie 1968 in der Kirche Neuenhagen-Nord. 1996 verwirklichte sie sich mit ihrem Mann Wolfgang Kiesner den Traum vom Eigenheim — in Altlandsberg. Doch „ihre“ Gemeinde war und ist die Verheißungskirchengemeinde Neuenhagen-Dahlwitz. Und sie sitzt für ihre Gemeinde nicht nur einmal monatlich an einem Dienstag in der GKR-Sitzung. Den Kirchendienst in Neuenhagen-Nord übernimmt sie ebenso regelmäßig wie das Austragen der Gemeindebriefe. Der eine oder andere kennt Martina Zobel vielleicht auch als Lektorin – mehrmals im Jahr sind Gottesdienste mit ihr zu erleben. Ihr sind auch die jährlichen, stets gut organisierten Gemeindefahrten zu verdanken, und kaum vorstellbar ist ein Weltgebetstag (WGT) ohne Martina Zobel. Von Marianne Lode übernahm sie einst dessen Organisation und hält an der Tradition fest, den WGT ökumenisch auszurichten. Ob die Vorbereitung der GKR-Sitzung, das Eintüten von hunderten Wahlbriefen oder einfach nur das Zupacken beim Herbst- und Frühjahrsputz: Auf Martina Zobel kann sich jeder verlassen. „Ich bin ein Mädchen für alles, bei jeder Veranstaltung… solange ich nicht singen muss“, sagt sie verschmitzt und dabei blitzen ihre Augen spitzbübisch.
Besonders am Herzen liegt ihr die Kirche in Neuenhagen-Nord. Liebevoll spricht sie von der trutzigen Dorfkirche, in der sie als Kirchendienst oft den Altar schmückt, hier und da den Staub wegwischt und Gottesdienstbesucher stets adrett gekleidet und warmherzig empfängt. Niemals würde ihr einfallen, zum Gottesdienst in alltäglicher Kleidung zu erscheinen: „Der Gottesdienst ist schließlich ein Fest. Und Sonntag ist Sonntag. Ich würde sonntags auch nicht Wäsche waschen.“ Die ganz klassische Liturgie, mit allen alten Gesängen und Gebeten, ist jene, die ihr Herz erfreut. Ihr persönliches Gesangbuch hat einen edlen Umschlag aus Stoff, lila, ganz fein bestickt. Das Buch bekam sie zu ihrem ersten Lektoren-Gottesdienst 2008 in Dahlwitz – mit Widmung vom Gemeindekirchenrat.
In den Gemeindekirchenrat kam Martina Zobel dereinst durch Pfarrer Leu. Ihr Onkel riet ihr zu: Mach mal, ist schön. „Und vielleicht war ich auch ein bisschen stolz darauf, dass ich gefragt wurde“, sinniert sie ihrem Beginn als Älteste nach. Damals arbeitete sie noch als Sekretärin, am Ende sollten es mehr als 45 Arbeitsjahre werden. Die Mutter von zwei Töchtern arbeitete gern. Der Kontakt zu Menschen liegt ihr. Zu den alten Kollegen hält sie noch immer Kontakt. Wie sie neben Beruf und Familie das Ehrenamt schaffte, erklärt sie so: „So ein Amt kann man aber auch nur machen, wenn man den Rückhalt zu Hause hat. Das geht nicht, wenn der Partner oder die Familie das nicht mittragen. Mein Mann Wolfgang hilft oft. Aber das geht ja anderen im Ehrenamt auch so.“
In jedem Fall hat Martina Zobel die Gemeinde seither durch bewegende Zeiten begleitet. Nicht nur personelle Wechsel prägten die Jahre. Auch viele Bauarbeiten, allen voran die Errichtung des neuen Gemeindehauses in Nord, fallen in ihre Amtszeit. Gab es denn eine Zeit in der Gemeinde, die richtig gut war, vielleicht sogar besser als heute? Martina Zobel schüttelt entschieden den Kopf: „Nee. Das ist jetzt ganz toll. So eine lebendige Gemeinde! Damals, das war einfach, aber manchmal auch anstrengend. Zum Beispiel Weltgebetstag feiern: Da hatten wir nicht mal Geschirr. Jeder hat von zu Hause was mitgebracht. Und die Vorbereitungstreffen fanden bei Marianne Lode im Wohnzimmer statt. Aber es hat sich doch jetzt alles schon schön entwickelt. Das war einfach eine andere Zeit damals“, sagt sie und freut sich sichtlich.
Vor allem die Zeit, seit Pfarrer Sven Täuber in der Gemeinde ist, scheint einen besonderen Aufwind gebracht zu haben: „Seit Sven Täuber da ist, ist diese Gemeinde so aktiv geworden. Beim Familienfrühstück kann der Enkel mit dem Opa kommen. Jeder Kreis hat etwas für sich. Dort sind die Gespräche anders als beim Gemeindeabend. Aber alles ist schön. Wir waren voriges Jahr das erste Mal mit in der Malche. Das war einfach toll!“, resümiert Martina Zobel strahlend. „Wir bieten jetzt für viele Menschen etwas, sind breit aufgestellt. Und das Schönste ist eigentlich die Gemeinschaft. Vor dem Gottesdienst wird geschwatzt und hinterher auch.“ Das Schwatzen begegnet ihr auch anderswo. Kaum, dass sie beim Einkaufen in Neuenhagen nicht jemandem begegnet, den sie kennt. „Da trifft man Hinz und Kunz; dass man sich kennt, ist in dieser Kirchengemeinde was Besonderes. Und dass man sich aufeinander verlassen kann.“
Im Gemeindekirchenrat ist Martina Zobel gemeinsam mit einigen anderen langjährigen Ältesten das lebende Gedächtnis des Gremiums. Ob es um Grundstücke geht, um Streitigkeiten, um Baumaßnahmen, um Gesuchtes und das universale „Da war doch mal“ – Martina Zobel kann das vergangene Vierteljahrhundert abrufen und so die eine oder andere wertvolle Hintergrundinformation in aktuelle Diskussionen einfließen lassen. Die Zusammensetzung des derzeitigen GKR findet jedenfalls ihren Zuspruch, er sei altersmäßig eine „gute Mischung“. Und: „Die Arbeit im GRK hat doch eine ganz andere Qualität.“ Dennoch, eine Sache sieht sie kritisch und mit Sorge: „Eigentlich verlässt sich die Kirche zu sehr auf das Ehrenamt. Wenn wir Wolfgang (Raack, Anm. JZD) nicht hätten…“, sagt sie kopfschüttelnd und sehr nachdenklich. Und doch soll dies nun ihre letzte Amtszeit sein. In drei Jahren wird der gesamte Gemeindekirchenrat neu gewählt (anders als bislang, wobei alle drei Jahre der halbe GKR neu gewählt wurde). Dann stünden sechs Amtsjahre an. „Gut, dass wir jetzt nochmal für drei Jahre gewählt wurden. Sechs Jahre wären mir zu lange gewesen“, sagt Martina Zobel lächelnd und sehr bestimmt. Und warum hat sie sich immer wieder und nun nochmal in den GKR wählen lassen? „Für andere da zu sein, das ist einfach schön. Ich mache gern für andere etwas. Ich mache auch gern den Kirchendienst. Aber das würde ich auch gern machen, wenn ich nicht im GKR wäre.“
Dann bleibt ihr in drei Jahren vielleicht auch mehr Zeit für ihre sonstigen Hobbies: Sticken (leidenschaftlich), Häkeln, Fahrradfahren, Aktivreisen mit dem Rad, Joggen und Wandern, Kulturveranstaltungen im Bürgerhaus genießen, Lesen und die Besuche bei der Freundin in Neuenhagen. Auch die Zeit mit ihrer Familie und ihrem Mann ist Martina Zobel wichtig; vom Urlaub auf den Malediven mit ihrem Enkel schwärmt sie heute noch. Und die Familie ist so groß, dass eigentlich jeden Monat was zu feiern ist. Ihre Kirchengemeinde wird auch ohne den Gemeindekirchenrat auf der Agenda stehen: „Ich bin ja nicht weg. Ich werde weiterhin Kirchendienst machen und den Altar putzen und polieren“, ist sich Martina Zobel sicher.
Für ihre Kirchengemeinde wünscht sie sich weiterhin eine solche inspirierende Lebendigkeit, wie sie derzeit erlebbar sei. „Ich wünsche mir, dass man sich trifft, dass man schön beim Gottesdienst zusammen ist – und da wünsche ich mir mehr Besucher. Auch mehr Jugendliche – nicht nur, wenn sie ihren Stempel brauchen. Viele Gottesdienstbesucher, das wäre schön.“
Und warum ist ihr Kirche so wichtig? „Gegenfrage!“, sagt sie keck. „Wo wäre ich ohne Kirche, wo wäre ich ohne meinen Glauben an Gott? Kirche ist für mich sehr wichtig, weil sie Gemeinde ist, in der Gemeinschaft der Christen an Jesus glauben. Sie ist für mich ein Ort der Stille, der Ruhe, ein Ort der inneren Einkehr, zum Gebet. Ich kann durchatmen, entspannen, einfach nur sitzen. Und dann bin ich dankbar. Das geflügelte Wort ,Gott sei Dank‘ hat so eine gewaltige Bedeutung. Ich bin Christ, ich glaube an Gott, er leitet mich, er vergibt mir. In ihm und in der Kirche fühle ich mich geborgen.“ Und nach kurzem Nachdenken fügt sie hinzu: „Ich kann auch ganz kurz antworten, mit drei Worten aus dem 1. Korintherbrief: Liebe, Glaube, Hoffnung.“
Judith Ziehm-Degner